GOOD TO HEAR: Simon Mayle, Event Director PROUD Experiences
„Es ist an der Zeit, Zugehörigkeit einzufordern“
Simon Mayle ist Event Director der PROUD Experiences, die als weltweit größte und bedeutendste Luxusmesse für LGBTQ+ Travel gilt. Im Interview mit CC VIP spricht der Reise- und Veranstaltungsexperte, den das Magazin Robb Report zu den 18 wichtigsten „LGBTQ+ Leaders in Luxury“ zählt, über Marktchancen in der Nische, Flip-Flops in Männergröße und das gute Gefühl, dazuzugehören.
Die diesjährige PROUD Experiences ist bereits die fünfte ihrer Art und verspricht, erneut ein großer Erfolg zu werden. 2023 mussten Sie aufgrund der vielen Anfragen sogar eine Warteliste für Aussteller und Einkäufer einführen. Wie viele Teilnehmer erwarten Sie diesen Juni in Los Angeles? Insgesamt werden es 500 Teilnehmer sein. Bei ihnen handelt es sich um Einkäufer, Agenten, Reisebüromitarbeiter und Vertreter von rund 180 Reisemarken aus aller Welt. Vom 3. bis 5. Juni werden sie sich in Los Angeles treffen, um gemeinsam gute Geschäfte zu machen, spannende Strategien für Reisen innerhalb der LGBTQ+-Community zu entwickeln und natürlich auch Kontakte zu knüpfen oder zu vertiefen.
Statistisch betrachtet sind gerade einmal fünf bis zehn Prozent der Weltbevölkerung homosexuell. Was macht diese doch sehr kleine Nische so attraktiv für die Reiseindustrie? Wenn man sich die Gruppe der LGBTQ+-Reisenden einmal genauer anschaut, dann findet man einen hohen Anteil an Doppelverdienern, die keine Kinder haben, was sie zu exzellenten und ausgabefreudigen Gästen macht. Sie verreisen zumeist vier- bis sechsmal pro Jahr und geben dabei im Durchschnitt 33 Prozent mehr aus als ihre heteronormativen Mitmenschen. Darüber hinaus handelt es sich aber auch um einen durchaus noch wachsenden Markt: Etwa acht Prozent der Babyboomer identifizieren sich heute als LGBTQ+, bei den Millennials sind es schon 32 Prozent – fast ein Drittel aller Reisenden also …
Fairmont Century Plaza Los Angeles
Was unterscheidet amerikanische und europäische LGBTQ+-Reisende voneinander? In vielen europäischen Ländern ist die LGBTQ+-Community nicht nur gesetzlich stärker geschützt, sondern auch gesellschaftlich sehr viel akzeptierter. Das Selbstbewusstsein ist also ein anderes – das hören wir immer wieder.
Glaubt man einer US-Studie, dann unterscheiden sich die Wünsche und Bedürfnisse von LGBTQIA+-Reisenden kaum von denen anderer Gäste. Nur 25 Prozent suchen ausdrücklich nach Erfahrungen innerhalb ihrer eigenen Community. Warum also ein separater Zugang für diese Zielgruppe? Weil wir zum einen nicht alle gleich behandelt werden wollen und zum anderen auch unterschiedliche Bedürfnisse haben. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Reise mit meinem Partner ins „Belmond Hotel das Catratas“ an den Iguacu-Wasserfällen. Wir hatten den Aufenthalt online gebucht, ohne Geschlechterangaben. Als wir eincheckten, stand auf der einen Seite vom Bett ein Paar Flip-Flops in Größe 42 und auf der anderen Seite ein Paar in Größe 38 – typisch männlich/weiblich also. Wir ließen die Koffer fallen und liefen hinaus, um Fotos zu machen, da gerade die Sonne über den Wasserfällen unterging. Als wir zehn Minuten später zurückkamen, hatte das Zimmermädchen die Flip-Flops bereits gegen zwei Paar in Männergröße 42 ausgetauscht. Ich empfand das nicht nur als sehr aufmerksam, sondern auch als sehr persönlich und erzähle diese Geschichte bis heute immer wieder, wenn ich über diese Reise oder die Belmond-Gruppe spreche.
Trotzdem ist diese Art von Service noch immer eher eine Ausnahme – selbst in Häusern, die sich mit dem Prädikat „gay-friendly“ schmücken. Was kann die Branche tun, um sich nicht dem Vorwurf des „Pinkwashing“ auszusetzen? Vielfalt beginnt im Inneren, und eine vielfältige Belegschaft ist da der erste Schritt zum Erfolg. Auch die Bildsprache in den sozialen Medien und im Marketing ist wichtig. Ich möchte mir die Instagram-Posts eines Hotels ansehen und sagen: „Das sieht aus wie ein Ort, an dem ich als schwuler Mann gerne mit meinem Partner Urlaub machen möchte“. Der erste Eindruck und der Kontakt mit dem Angestellten in einem Hotel sind sehr, sehr wichtig. Daher ist es auch so fundamental, dass alle Mitarbeiter in Sachen LGBTQ+-Inklusivität und Sensibilität geschult werden. Ein LGBTQ+-Gast, der sein kostbares Geld für ein Luxuserlebnis ausgibt, möchte nicht gefragt werden, ob er vielleicht zwei Einzelbetten statt eines Doppelbetts möchte, dafür freut er sich aber über eine Begrüßungsnotiz, die korrekt an Mr. und Mr. XY adressiert ist. Und außerdem will dieser Gast vor Ort auf ein diverses Team treffen, das sich in seiner Destination auskennt. In diesem Zusammenhang eine persönliche Erfahrung von einem Aufenthalt in Rio: Im Fasano hat der Concierge meinem heterosexuellen Freund und mir tolle schwulenfreundliche Orte empfohlen – und im Fairmont konnte ich mit der Trans-Hostess an der Bar plaudern und von ihr erfahren, wie es ist, als einer der wenigen Trans-Personen in einem Luxushotel zu arbeiten.
Belmond Hotel das Catratas
Wie groß ist die Nachfrage nach gay- oder lesbian-only-Reisen eigentlich? Ist das ebenfalls ein wachsender Markt oder schrumpft er nicht eher, weil LGBTQ+ in vielen Ländern ja immer akzeptierter wird? Es gibt nach wie vor eine Nachfrage nach Hotels, Reiseveranstaltern, Kreuzfahrtreedereien usw., die nur für Schwule und Lesben zugänglich sind, da sich einige LGBTQ+-Reisende innerhalb ihrer Gemeinschaft sicherer und wohler fühlen. Wir beobachten aber auch ein wachsendes Interesse an diverseren Urlaubsformen mit Fokus auf LGBTQ+.
Abgesehen vom Kaufen und Verkaufen: Was können die Besucher der PROUD Experiences noch erwarten? Erzählen Sie uns ein wenig über das Programm und seine Höhepunkte … Lassen Sie mich dazu zunächst einmal sagen, dass die PROUD Experiences kein Schwulen- und Lesben-Event ist. Ich schätze sogar, dass sich das Verhältnis heterosexuell/homosexuell bei Ausstellern und Besuchern ungefähr die Waage hält. Aber egal, ob hetero- oder homosexuell, Reisebüro, Kreuzfahrtanbieter, Destination, Hotel, Veranstalter oder Incoming-Agentur: Alle haben sie Kunden aus der LGBTQ+-Community, für die sie möglichst individuelle Reiseerlebnisse kreieren möchten. Daher finden neben der eigentlichen Messe auch großartige Vorträge und Workshops zu Themen wie Sensibilisierung oder Diversität statt. Wir haben dafür einige der besten und namhaftesten Experten eingeladen, die die Zielgruppe der LGBTQ+-Luxusreisenden sehr genau kennen und authentisch darüber berichten können.
Wie wird sich der LGBTQ+-Tourismus in Zukunft verändern? Welche Trends sind heute schon erkennbar und welche erwarten Sie in den nächsten Jahren? In Sachen LGBTQ+-Tourismus wird die Reisebranche immer integrativer. Das lässt sich deutlich beobachten. Viele Unternehmen richten sich beispielsweise bereits mit speziellen Marketingkampagnen und Initiativen an LGBTQ+-Reisende. Diese Entwicklung wird sich fortsetzen, auch weil die Unternehmen die wirtschaftliche Bedeutung der LGBTQ+-Community erkennen.
Auf Ihrer Website ist viel von „Belonging“– auf Deutsch: „Zugehörigkeit“ – die Rede. Wie definieren Sie diesen Begriff? Und wie kann man damit Geld verdienen? „Zugehörigkeit“ war für heteronormative Reisende schon immer eine Selbstverständlichkeit. Jetzt ist es an der Zeit, diese „Zugehörigkeit“ auch für die LGBTQ+-Community einzufordern. Wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten, können wir Großes erreichen, um dieses schöne Wort noch schöner zu machen und dafür zu sorgen, dass sich tatsächlich jeder willkommen und „zugehörig“ fühlt.
Nicht wenige Ihrer Aussteller investieren viel Geld in Ländern, in denen Homosexualität immer noch strafbar ist – die Emirate, Indonesien, die Malediven, Malaysia und neuerdings auch Saudi-Arabien sind da nur einige Beispiele. Wie gehen Sie als Veranstalter einer Reisemesse für ein homosexuelles Klientel damit um? Tatsächlich gibt es immer noch rund 70 Länder auf der Welt, in denen Homosexualität illegal ist. Das heißt, es gibt immer noch etwa 70 Länder, in denen homosexuelle Paare oder Familien mit Kindern, die sich als LGBTQ+ identifizieren, nicht willkommen sind. Und ja, diese Länder sind nicht nur abgelegene, selten besuchte Länder in Afrika, sondern einige der begehrtesten Luxusreiseziele der Welt. Als Veranstalter sind wir jedoch davon überzeugt, dass Reisen die Welt verändern und positiv beeinflussen kann. Reisen ist das Gegenteil von Engstirnigkeit, denn Reisen fördert das Kennenlernen und Verstehen anderer Menschen und anderer Kulturen. Es öffnet unseren Geist und unsere Herzen. Darüber hinaus ist die Reisebranche für viele Länder aber auch ein großer Wirtschaftsfaktor. Das erlaubt es uns auf Veränderungen zu drängen. Diese Macht, aber auch die daraus resultierende Verantwortung, sollte man keinesfalls unterschätzten.
Registration: sarah.williams@rxglobal.com
www.proudexperiences.com/en-gb/buyers.html
Interview: Jörg Bertram