GOOD TO GO: Soria

Wo „Doktor Schiwago“ ins Schwitzen kam

Die kleine Provinz im Herzen Spaniens lockt nicht nur mit ihrer atemberaubenden Natur, sondern auch mit Filmgeschichte, kulinarischen Genüssen und literarischer Inspiration. CC-VIP-Autorin Susanne Freitag hat sich umgeschaut.

Im Winter 1965 wartete ganz Soria sehnsüchtig auf Schnee. Doch in der spanischen Provinz in der Hochebene von Kastilien und León blieb der weiße Teppich aus. Notgedrungen musste Starregisseur David Lean die geplanten Dreharbeiten für das Filmepos „Doktor Schiwago“ verschieben. Erst im Juni desselben Jahres war es so weit: In den dichten Kiefernwäldern etwa 200 Kilometer nördlich von Madrid schwitzten Schauspieler wie Omar Sharif und Geraldine Chaplin bei über 30 Grad Celsius in ihren dicken Mänteln um die Wette. Den Schnee ersetzten weißer Marmorstaub und Wachs. Radfahrer, die heute auf dem Teilstück der alten Eisenbahntrasse Vía Verde Santander-Mediterraneo von Cabrejas del Pinar, eine halbe Stunde nördlich der Provinzhauptstadt Soria unterwegs sind, können die Spuren von „Doktor Schiwago“ nachverfolgen. Der Schotterweg führt rund 20 Kilometer durch riesige Pinienwälder und an überwucherten Gleisen entlang bis zum Bahnhof von San Leonardo de Yagüe – dem Ausgangspunkt für die Züge, die bei den Dreharbeiten eine Rolle spielten. Im Wald beschreibt eine Informationstafel das Filmszenario.

Die Tour auf der Via Verde hält aber noch eine weitere Überraschung bereit: Aufmerksame Radler schlagen sich von Zeit zu Zeit in die Büsche, um sich in einem Meer von Pilzen aller Art wiederzufinden. In der Provinz Soria wachsen die meisten Pilzarten auf der Iberischen Halbinsel, und alle zwei Jahre lockt der internationale Pilzkongress „Soria Gastronomy“ Experten aus aller Welt in die Region. Weltbekannt ist auch der schwarze Trüffel von Soria, auch Wintertrüffel genannt. Je nach Saison spielen Pilze auch die Hauptrolle im Restaurante La Lobita in Navaleno, das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Küchenchefin Elena Lucas verwöhnt ihre Gäste mit kulinarischen Erlebnissen aus der Umgebung, mit Pilzen, Wild, Beeren und Blumen. Insgesamt zeichnet sich die regionale Küche durch Vielfalt und Herzhaftigkeit aus: Von der berühmten Morcilla de Soria, einer Blutwurst, die nach traditionellem Rezept hergestellt wird, bis zum deftigen Lammeintopf Calderetta und dem himmlisch sahnigen Blätterteigdessert Tarta Costrada.

Die Provinzhauptstadt Soria selbst, mit rund 40.000 Einwohnern die zweitkleinste in ganz Spanien, liegt malerisch zwischen zwei Hügeln am Ufer des Flusses Duero. Die „Stadt der Dichter“, wie sie oft genannt wird, gilt als Inspirationsquelle für zwei der bedeutendsten Poeten und Schriftsteller des 19. Jahrhunderts: Gustavo Adolfo Bécquer, der in Soria eine Frau aus der Region heiratete, ließ sich von der mystischen Atmosphäre der Stadt zu vielen seiner Gedichte anregen. Eine Statue von Bécquer im Park am Monte de los Animales mit Blick auf den Duero erinnert an ihn. Antonio Machado, der in Soria als Direktor einer Schule tätig war, fand in der kargen Schönheit der Landschaft Inspiration für seine melancholischen Werke. In Soria lernte er seine Frau Leonor kennen, die ihn mit 16 Jahren heiratete und tragischerweise im Alter von 18 Jahren an Tuberkulose starb. Ihr Grab befindet sich in der Nähe der Kirche Les Pino, und die berühmte Ulme, die Machado im Gedicht „A un olmo seco“ („Einer verdorrten Ulme“) beschreibt, steht noch immer auf dem Platz vor dem Friedhof.

Trotz seiner beschaulichen Größe hat Soria auch eine lebendige, moderne Seite. Das Kulturzentrum „Casino“ im Herzen der Stadt, vereint die elegante Atmosphäre eines englischen Herrenclubs mit dem geselligen Charme eines italienischen Spieleklubs. Seit 1848 dient es als Ort für anspruchsvolle Begegnungen und geistige Anregung, und auch Antonio Machado war gern gesehener Gast im „Club“. Heute noch treffen sich Intellektuelle zu anregenden Gesprächen und geselligen Stunden in dem geschichtsträchtigen Gebäude.

Die Mischung aus (Film)-Geschichte, Literatur, Natur und kulinarischen Genüssen macht Soria zu einem reizvollen Reiseziel. Wer Ruhe und Authentizität sucht, wird hier auf seine Kosten kommen – und das zu einer Zeit, in der viele andere Städte längst vom Trubel der Touristenmassen überflutet sind.