GOOD TO HEAR: Deborah Rothe, Director, ITB Berlin
„Künftig wollen wir noch mehr voneinander lernen“
Die neue Chefin Deborah Rothe zieht eine sehr positive Bilanz der ITB 2024 und attestiert der Reisebranche eine nie dagewesene Resilienz. Jenseits des Standorts Berlin sieht sie große Chancen, mit den drei ITBs in Asien, einem 360-Grad-Ansatz der weltweit agierenden Marke und neuen innovativen Formaten große Themen in der Touristik anzuschieben.
Sie haben Anfang März zum zweiten Mal die „Neue ITB“ als reine Fachbesuchermesse verantwortet. Wie war das Feedback der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in diesem Jahr? Das Feedback zum Konzept war hervorragend und kam bei Ausstellern und Besuchern gleichermaßen gut an. Sie können ihre Aktivitäten nun viel besser bündeln und Ressourcen dazu noch viel effektiver einsetzen. Wir haben zwar auch 2023 schon eine positive „Neustartstimmung“ unter unseren Teilnehmern wahrgenommen, dieses Jahr wurden die Erwartungen an das neue B2B-Konzept aber noch einmal getoppt.
Können Sie sagen, dass die ITB Berlin jetzt schon zu ihrer „alten Größe“ zurückgefunden hat? Auf jeden Fall – das Feedback insgesamt, die Stimmung und die Teilnehmerzahlen sprechen einfach für sich. Die ITB Berlin ist nach wie vor DER Ort und DIE Plattform für Innovation, Business und Networking in unserer Branche. Dazu trägt natürlich auch der parallel stattfindende ITB Berlin Kongress bei, der den Teilnehmenden wertvolle Expertenmeinungen, Best Practices und Lösungsansätze für die multiplen Herausforderungen dieser Zeit bot.
Gefühlt hat die Messe richtig gebrummt, deshalb gerne auch ein paar Zahlen: Hat die Aussteller- und Teilnehmerzahl der ITB Berlin 2024 an frühere Teilnehmerzahlen erinnert? Das kann man so sagen. Die Industrie zeigte sich auf der ITB Berlin 2024 sehr selbstbewusst, und das spiegelte sich auch in den Teilnehmerzahlen wider: Ausstellerseitig hatten wir in dem 27 Hallen über 5.500 Aussteller aus rund 170 Ländern zu Gast. Teilnehmende zählten wir – trotz umfangreicher Streiks – knapp über 100.000, und damit noch einmal spürbar mehr als im letzten Jahr mit 90.000. Auch das Medien- und Politikinteresse war enorm hoch mit 3.200 Medienschaffenden, 300 Bloggern sowie 80 Ministern und Staatssekretären und 72 Botschaftern. Beim ITB Berlin Kongress boten wir den insgesamt 24.000 Gästen 200 Sessions mit 400 Top-Speakern im Rahmen von 17 spannenden Themen-Tracks.
Was waren die wichtigsten Themen der ITB Berlin 2024? Neben Strategien gegen den Fachkräftemangel und dem Dauerthema Nachhaltigkeit hat die Digitalisierung mit den Einsatzmöglichkeiten von KI noch einmal deutlich an Wichtigkeit gewonnen. 2023 sprachen bereits alle über Künstliche Intelligenz, aber jetzt können viele Unternehmen und Organisationen schon erste Erfolge vorweisen. Entsprechend groß war das Interesse aller Teilnehmenden an dem Thema – vor allem beim ITB Berlin Kongress, wo wir KI erstmalig einen ganz eigenen Track widmeten.
Ein großer Wehrmutstropfen waren die parallel stattfindenden Streiks bei Lufthansa und der Deutschen Bahn. Viele betroffene Personen reisten panisch schon Mittwochabend wieder ab. Glauben Sie, dass die Messe deshalb Schaden genommen hat, beziehungsweise wird der Streik die Teilnahme mancher Betroffener im nächsten Jahr beeinflussen? Die Streiks bei der Deutschen Bahn und Lufthansa waren natürlich sehr bitter für uns, auch, weil beide Unternehmen wichtige Player in unserer Branche sind, die wie wir dadurch auch einen enormen Imageschaden erleiden. Dass wir dennoch 100.000 Teilnehmer begrüßen konnten, hat unsere Erwartungen natürlich übertroffen und freut uns in Anbetracht der schwierigen Umstände natürlich sehr.
Seit der Pandemie haben sich die Ansprüche von Reisenden massiv geändert, und die Branche hat mehr oder weniger gut darauf reagiert. Was sind Ihrer Meinung nach die prägnantesten Veränderungen in der Touristik? Insgesamt ist die Branche deutlich robuster und resilienter geworden. Nach Corona folgten ja weitere Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten beziehungsweise auch geo-politische Konflikte. Ich habe den Eindruck, dass die Industrie im Angesicht der vielen Herausforderungen deutlich flexibler und wendiger geworden ist. Sprich: Die Unternehmen und Organisationen passen sich schneller an.
Das Reisegeschäft ist wieder zu einer Boom-Branche geworden, obwohl die Preise aufgrund der höheren Energie- und Personalkosten empfindlich gestiegen sind. Wie erklären Sie sich das? Es zeigt eigentlich recht anschaulich, dass Menschen aufs Reisen nicht verzichten möchten. Demnach gab ein Viertel der Befragten einer aktuellen GfK-Umfrage an, dass sie 2024 mehr für den Urlaub ausgeben wollen als letztes Jahr, und 79 Prozent (+ 2 Prozentpunkte) der Reisenden in Deutschland planen bereits eine Urlaubsreise. Einige gönnen sich sogar mehr als vielleicht noch früher. So sind bei Airlines die Business-Class-Sitze vielfach gut gefüllt, zudem zeigen sich Zwischenklassen wie Premium Economy überaus beliebt. Für uns ist das ein klares Indiz für eine ungebrochene Reiselust. Erinnern wir uns an die schlimmsten Zeiten der Pandemie – da haben viele der Branche einen großen Rückgang vorhergesagt. Eine gewisse Zurückhaltung sehen wir immer noch bei Business-Reisen. Sie werden aktuell aber vielfach von mehr privat motivierten Reisen ausgeglichen.
Gerade im Luxustourismus scheint das Reisevolumen alle Grenzen zu sprengen, und es gibt immer mehr Veranstalter, die besonders auf dieses Marktsegment setzen. Wird die klassische, leistbare Pauschalreise-Branche langfristig darunter leiden? Ja, der Luxusbereich erlebt einen echten Höhenflug. Ich glaube aber, es gibt für beide Segmente – Luxus- und Pauschalurlaub- genug vom sprichwörtlichen „Kuchen“. Die Pauschalreise hat keineswegs ausgedient. Der Umsatz mit Pauschalreisen lag Ende Januar um 30 Prozent über dem Vorjahr. Für viele ist sie immer noch DIE verlässliche Reiseform, bei der der Veranstalter sich gemäß des „Rundum-Sorglos-Pakets“ um alles kümmert. Gerade vor dem Hintergrund von Ereignissen wie den Bränden 2023 in Griechenland spielt dieser Faktor eine große Rolle. Zudem will sich bei Weitem nicht jeder eine individuelle Luxusreise leisten.
Die internationale Luxushotellerie mit großen Brands hat die ITB Berlin sukzessive schon vor der Pandemie verlassen, und die legendäre Halle 9 existiert in ihrer alten Prägung nicht mehr. Möchten Sie diese Anbieter langfristig zurückgewinnen? Das Luxusreise-Segment hatte auf der diesjährigen ITB Berlin wie bereits letztes Jahr im Home of Luxury im Marshall-Haus sein Zuhause. Es kam wieder sehr gut bei allen Beteiligten an. Zu den Ausstellern gehörten unter anderem Travel & Taste, Blancdenoir, Cullinan Belek, Hommage Hotels, Abercrombie & Kent Sri Lanka oder Fleesensee Hotel. Aber auch in der bisherigen „Hotelhalle“ 9 haben wir Hotelketten wie Accor, Hilton, Best Western, Meininger, Wyndham und Deutsche Hospitality als Aussteller begrüßen können genauso auch große Online-Plattformen wie Booking.com, Airbnb, Expedia oder HomeToGo.
An welchen Neuerungen arbeiten Sie für die ITB Berlin 2025. Worauf freuen Sie sich besonders? Für die Verkündung von Neuerungen für 2025 ist es aktuell noch etwas zu früh. Wir freuen uns aber jetzt schon auf das aktuelle Gastland Albanien, eine aufstrebende Destination mit wirklich großem Potenzial. Außerdem werden wir den 360-Grad-Ansatz unserer weltweiten ITB-Marke weiter ausbauen. Die ITB findet nicht nur im März statt und beschränkt sich keineswegs nur auf Berlin. Auch unsere Messe-Ausgaben in China, Indien und Singapur sind sehr erfolgreich. Künftig wollen wir noch mehr voneinander lernen und die ITB als ganzjährig und global präsenten Innovationshub etablieren. Die weltweite Tourismus-Community kann sich also auch in den nächsten Monaten wieder auf wertvolle Insights in Form von Newsroom-Beiträgen, Podcast-Episoden und weiteren innovativen Formaten freuen.