GOOD TO GO: Nah-Destinationen des Monats
Galicien überrascht

Was für viele als Ziel einer spirituellen Reise beginnt, entpuppt sich als Anfang eines echten Abenteuers. CC VIP-Autorin Susanne Freitag hat die Highlights der Autonomen Gemeinschaft im Nordwesten Spaniens entdeckt.

Die Kathedrale von Santiago de Compostela (links) und karibisches Wasser am Strand beim Parador de Muxía.
Wild und anbetungswürdig
Galicien ist weit mehr als das Ziel des Jakobswegs. Wer hier ankommt, betritt eine Region voller Kontraste: von den stillen Klöstern im grünen Herz des Landes bis zur wilden Costa da Morte. Die Region ist vor allem bekannt für die Pilgerrouten des Jakobswegs, darunter der "Camino de Francés", der sich in 32 Etappen rund 800 Kilometer vom Fuß der Pyrenäen in Frankreich bis nach Santiago de Compostela zieht. Am offiziellen Ende des Jakobswegs empfängt die Hauptstadt Santiago de Compostela rund 500.000 Pilger im Jahr. Ziel ist das Grab des Jakobus in der majestätischen romanischen Kathedrale im Herzen der historischen Altstadt. Schon von weitem lockt das melodiöse Glockenspiel, und wer möchte, blickt von den Dächern der Kathedrale aus weit über die Stadt hinaus. Für Ricardo Fandiño war dieser Blick einst alltäglich. Der letzte Glöckner der Kathedrale lebte von 1942 bis 1962 mit seiner gesamten Familie in einem kleinen Haus auf dem Dach. Sogar einen Hühnerstall soll er dort oben gebaut haben.
Von der Plaza del Obradoiro an der Westfassade der Kathedrale führt die Rúa do Franco aus der Altstadt hinaus. Sie ist nicht nur eine belebte Einkaufsstraße, sondern bildet auch die Kulisse für eine ganz eigene Version der "Rallye Paris-Dakar". Das gleichnamige Off-Road-Rennen wird allerdings längst nicht mehr in Afrika, sondern in Saudi-Arabien unter dem Namen "Rallye Dakar" ausgetragen. In Santiago de Compostela beginnt die Rallye an der Bar Paris am oberen und endet im Restaurant Dakar am unteren Ende der Straße – zu Fuß, versteht sich. Die Herausforderung besteht darin, in den dazwischenliegenden, rund 30 Bars ein Glas Ribeiro-Wein und eine Portion Tapas zu genießen, ohne abzukürzen oder umzukippen.

Blick von Santo André de Teixido aufs Meer (oben) und die höchsten Klippen Westeuropas.
Nordküste mit Nervenkitzel
Wer die Rallye erfolgreich hinter sich bringt, den schreckt so schnell nichts mehr ab – schon gar nicht der tosende Atlantik an der wilden Nordküste Galiciens. Etwa anderthalb Stunden Fahrt von der Hauptstadt entfernt, liegt das charmante Fischerdorf Cariño am westlichen Eingang der Bucht Ría de Ortigueira. Darüber erhebt sich die Gebirgskette Serra da Capelada, die zum Meer hin in einer dramatischen Steilküste abfällt. Von dort aus bieten Carmen und ihr Mann mit ihrem Unternehmen MardOrtegal verschiedene Bootstouren an. "Wir verkaufen Erlebnisse, Momente und Erinnerungen, begleitet von einer idyllischen Landschaft", erklärt sie. Je nach Wetterlage kann die Fahrt zu einem echten Abenteuer werden: Das Boot schaukelt gewaltig und oft hilft nur der Blick auf den Horizont gegen das mulmige Gefühl im Magen. Dennoch lohnen sich der Ausflug und der Blick auf die höchsten Klippen Westeuropas und auf das Kap Ortegal, an dem das Kantabrische Meer und der Atlantische Ozean zusammentreffen. Die Aguillones, drei Felsen, die wie Zähne aussehen und nur wenige Meter vom Kap entfernt liegen, und der Strand von Teixidelo, der einzige schwarze, nicht vulkanische Sandstrand der Welt machen den starken Seegang ebenfalls wett. Begleitschutz bieten mit etwas Glück die Delfine, die bisweilen vor und neben dem Boot auftauchen.

Die Ruinen des Klosters Caaveiro (links) und die verglasten Balkone auf der Avenida Marina in A Coruña.
Ungezähmt und urwüchsig
Der Weg von Cariño zum Wallfahrtsort Santo André de Teixido führt über das eindrucksvolle Gebirgsmassiv der Serra da Capelada. Langsam Fahren ist hier das oberste Gebot. An manchen Tagen behindert dichter Nebel die Sicht, sodass die umherstreifenden Galaicos-Pferde auf beiden Seiten der Straße kaum zu erkennen sind. Obwohl die Tiere nach Lust und Laune herumstreifen, sind es keine Wildpferde, sondern gehören den Bewohnern der umliegenden Dörfer. Einmal im Jahr findet die Rapa das Bestas statt, ein jahrhundertealter, aber kontroverser Brauch. Dabei treiben die Dorfbewohner die Pferde in eine Arena, scheren ihnen Mähnen und Schweife und markieren sie. Tierschützer kritisieren den Brauch massiv. Denn das Einfangen der Pferde verursacht großen Stress, besonders wenn Stuten und Fohlen getrennt werden. Zudem werden viele junge Hengste später für den Fleischmarkt verkauft.
Von der Serra da Capelada führt der Weg in den Naturpark Fragas do Eume, östlich von Pontedeume. Der Park ist eines der besten Beispiele für den Erhalt des einheimischen Waldes und mit 103 Vogelarten und 41 Säugetierarten eine der artenreichsten Regionen Spaniens. Durch die dichten Eichenwälder gibt es acht ausgewiesene Wanderwege, darunter eine Tour entlang des Eume-Flusses zu den Ruinen des Klosters Caaveiro tief im Wald. Ursprünglich von Benediktinermönchen gegründet, später von Augustinermönchen übernommen, hat das Kloster über zehn Jahrhunderte hinweg die spirituelle Geschichte dieser Region geprägt. Heute ist es ein faszinierender Ort der Ruhe, Geschichte und Natur. Nach einem kurzen Abstieg gelangt man zu gurgelnden Flussbecken zwischen moosbedeckten Felsen. Es lohnt sich, an diesem Punkt innezuhalten und die Ruhe und Schönheit des Waldes zu genießen – ein echter Geheimtipp für Naturfreunde und Wanderer. Zurück an der Küste in A Coruña zieht die markante weiße Häuserfont mit den verglasten Balkonen auf der Avenida Marina die Besucher in den Bann. Ihretwegen trägt die Stadt den Beinamen "La Ciudad de Cristal" (die Stadt aus Glas). Die bemerkenswerte Architektur im Fischerviertel "La Pescadería" stammt aus den 70er- und 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Die Glasbalkone dienten ursprünglich als Regenschutz, sorgten für Licht, Lüftung und klimatische Ausgewogenheit. Heute ist die Avenida Teil der 13 Kilometer langen Strandpromenade und erste Anlaufstelle von Touristen, die an den gegenüberliegenden Kreuzfahrtterminals von Bord gehen. Irgendwo an der Promenade hat auch Amancio Ortega, einer der reichsten Männer der Welt und Gründer des Modelabels Zara, ein Domizil.

Die Siedlung Castro de Baroña (oben) und der magische Leuchtturm von Cabo Vilán.
Zwischen Mythos und Gefahr
Ihren Namen trägt die "Costa da Morte" (Todesküste) nicht ohne Grund: Gewaltige Wellen, tückische Strömungen und unberechenbares Wetter machen sie zu einem der gefährlichsten Küstenabschnitte Europas. Rund tausend Schiffe sollen hier in den letzten Jahrhunderten gesunken sein. Die Küste erstreckt sich von Malpica bis zum Kap Fisterra, von dem die Menschen im Mittelalter glaubten, es sei das Ende der Welt. Der Leuchtturm Faro de Fisterra weist noch immer den Weg durch die gefährlichen Gewässer und markiert das tatsächliche Ende des Jakobswegs. Ein düsteres Kapitel schrieb sich 2002 in die Geschichte dieser Region, als der Tanker "Prestige" vor der Küste havarierte. Die darauffolgende Ölpest kostete 115.000 Seevögeln das Leben. Ein Mahnmal bei der Wallfahrtskirche A Virxe da Barca in Muxía erinnert an das Unglück. Nicht weit entfernt fügt sich der 2020 eröffnete Parador de Muxía terrassenförmig in die Küstenlandschaft ein – er ist Teil der Wiedergutmachung nach der Katastrophe und Symbol für nachhaltige Regionalentwicklung.
Wo die Brandung auf schroffe Felsen trifft, arbeiten die "Percebeiros", Sammler der hochgeschätzten Entenmuscheln. Die Delikatesse erzielt bis zu 200 Euro pro Kilo – doch der Preis ist hoch: Die Arbeit der Sammler ist lebensgefährlich und nur bei Ebbe überhaupt möglich. Einen Abstecher lohnt auch die gegenüberliegende Seite der Bucht. Majestätisch thront dort der erste elektrische Leuchtturm Spaniens am Cabo Vilán auf einem Granitfelsen. Der Weg dorthin führt vom Fischerstädtchen Camariñas durch Kiefernwälder und bietet spektakuläre Ausblicke auf die wilde Küste. Der Leuchtturm selbst scheint fast organisch aus dem Granitfelsen zu wachsen. Vor dem Kap sank 1890 der britische Torpedokreuzer Serpent auf dem Weg nach Sierra Leone. Die Seeleute, die dabei ums Leben kamen, wurden auf dem Friedhof Cementerio de los Ingleses (Friedhof der Engländer) ein paar Kilometer entfernt, beigesetzt.
Auf halbem Weg von Muxia nach Carnota hält die Costa da Morte einen weiteren Höhepunkt bereit. Der schmale Pfad am Ortseingang von Baroña führt zum Castro de Baroña – einer Siedlung aus dem 1. Jahrhundert v. Chr., die als eine der besterhaltenen prähistorischen Anlagen der Iberischen Halbinsel gilt. Die Grundmauern der Rundhäuser sind noch heute gut erkennbar. Direkt an der felsigen Küste gelegen, diente der Ort einst als Rückzugsraum für gallische Stämme in Zeiten der Auseinandersetzung mit anderen Völkern und den Römern. Nur wenige Schritte entfernt lädt der weiße Sandstrand von Baroña zur Badepause ein.

Restaurant im Parador de Muxía (oben) und der Pazo de Baladrón in Pon de Maceira.
Übernachten von edel bis authentisch
Insgesamt gibt es in Galicien sehr wenige Hotels, dafür mehr Privatunterkünfte und Landhäuser verschiedener Kategorien, die unter dem Begriff Turismo rural zusammengefasst sind. Das Relais & Châteaux A Quinta da Auga Hotel & Spa mit 59 Zimmern liegt rund 20 Kilometer vom Flughafen von Santiago de Compostela entfernt. Die ehemalige Papierfabrik ist umgeben von alten Bäumen und dem sanften Flusslauf des Sar. Die Familie Lorenzo Garcia hat das Gebäude aus dem 18. Jahrhundert in ein elegantes Boutique Hotel mit historischem Charme verwandelt. Im Restaurant Filigrana serviert Küchenchef Federico López Arcay authentische Aromen Galiciens und im Spa der Quinta da Auga genießen die Gäste Behandlungen, die auf den Elementen der Umgebung basieren.
Der Parador de Muxía bietet 63 Zimmer mit Meerblick und einen kleinen, feinsandigen Strand. Architekt Alfonso Penela hat in das moderne, terrassenartige Gebäude einen Lift eingebaut, der die Stockwerke wie eine Seilbahn verbindet. Die Etagen sind mit großen Fotos dekoriert, die sich der Auswanderung der Einwohner nach Südamerika widmen. Eine besondere Übernachtungsmöglichkeit bietet das Kloster von San Xiao de Moraime. Im ehemaligen Pfarrhaus sind zehn schlichte, aber moderne Zimmer untergebracht. Sie sind vor allem bei Pilgern und Ruhesuchenden beliebt. Wer es abenteuerlicher mag, übernachtet in einem der Leuchttürme, beispielsweise im O Semaforo Hotel am Faro de Fisterra inklusive À-la-carte-Restaurant und Terrasse.
Luxuriös wohnen die Gäste in den ehemaligen Palästen und Herrenhäusern, den sogenannte Pazos. Sie erinnern optisch an Burgen und locken mit ihren wunderschönen Gärten Besucher an, die beispielsweise auf der Kamelienroute unterwegs sind. Einer davon ist der Pazo de Baladrón in Pon de Maceira, rund zehn Kilometer vom Flughafen entfernt. Das Landhaus, das Mitte des 20. Jahrhunderts erbaut wurde, liegt an einer alten Steinbrücke über den Tambre Fluss und fügt sich in ein mittelalterliches Dorf mit empfehlenswertem Fisch-Restaurant ein. Wer will, kann im Fluss ein Bad nehmen.