So sitzt das Flugerlebnis!
Am Gate L09 auf dem Münchner Flughafen wartet beim Premierenflug der neuen Lufthansa-Allegris-Kabine eine Überraschung. Als Ehrengast ist nämlich der aus Deutschland stammende ehemalige US-Basketballstar Dirk Nowitzki mit an Bord. Wegen seiner überragenden Körpergröße von 2,13 Metern wurde er als Produktbotschafter für die neuen, extralangen Sitze mit 2,20 m Liegeflächen ausgewählt. Mit meinen 1,88 Metern fühle ich mich neben ihm wie ein Zwerg. An Bord des nagelneuen A350 probiere ich kurz einen der Sitze mit extralangem Bett aus – was hier am Gang fehlt, ist Privatsphäre, dafür passen sogar Dirk Nowitzkis Füße (Schuhgröße 51!) in den Fußraum. Ich darf am Fenster auf 9A im hinteren Teil der Business-Kabine sitzen: Ein sogenannter Privacy Seat, nicht vergleichbar mit der üppigen Suite direkt davor, aber definitiv einer der Plätze an Bord, die ich empfehlen kann und selbst buchen würde. Wie alle Premiumsitze hat er direkten Gangzugang und bietet ein hohes Maß an Privatsphäre. Mit der Abgeschlossenheit ist das aber so eine Sache – der begehrte Thronsitz etwa ist bei Allegris von allen Seiten derart abgeschirmt, dass man sich etwas verloren oder gar klaustrophobisch vorkommt auf einem langen Flug.
Viel Stauraum für Laptop & Co.
Zu meiner Rechten habe ich auf 9A eine größere Konsole neben mir, in der ein kontaktloser Ladepunkt für Handys eingelassen ist, der allerdings auf meinem iPhone nicht immer funktioniert. Dahinter ein Schränkchen mit Schiebetür, in dem sich der geräuschdämmende Kopfhörer befindet, eine Wasserflasche und die Amenity-Bag. Meinen Sitz kann ich zu einem zwei Meter langen, ebenen Bett ausfahren. Leider lässt sich nur die gangseitige Armlehne versenken, um die Liegefläche zu verbreitern, aufgrund der gewölbten Außenhaut aber nicht jene unter dem Fenster.
Ein Sitz, der wärmt und kühlt
Schon vor dem Start gibt es als Welcome Drink den neuen, dunkelroten Lufthansa-Apéritif Avionic, gemischt mit Sekt („Avionic Royal“), köstlich! Durch den großen Auflauf bei diesem Erstflug starten wir fast eine halbe Stunde verspätet. Nach dem Abheben kann ich mich mit den Sitzfunktionen beschäftigen: Die wichtigsten Bewegungen vollführt der Sitz auf Knopfdruck. Für die Feinheiten wie beispielsweise die erweiterte Bordunterhaltung bedient man sich entweder des großen Tablets, das neben der sehr willkommenen Frischluftdüse und einer Leselampe seitlich an der Wand installiert ist, oder man macht sich die Mühe und registriert sein eigenes Handy als Bedienkonsole. Eine Weltneuheit ist ein Ventilationssystem in der Sitzauflage. Damit lassen sich die Allegris-Premiumsitze erstmals erwärmen oder auch kühlen. Letzteres kommt mir wie vielen anderen, denen an Bord meist zu warm ist, sehr gelegen. Hervorragend an meinem Sitz (aber nicht bei allen am Gang verfügbar) ist der riesige, ausklappbare Tisch, so groß, dass der Laptop noch vor dem Menütablett Platz hat und beim Schreiben der Tisch nicht schwankt.
Erst 80 Minuten nach dem Start kommt der Getränkeservice zu mir durch. Ich nehme noch einen Avionic, mit einem Schuss Gin und Zitrone ist er am besten. Drei Optionen für Vorspeise und Hauptgericht werden geboten, ich wähle vorweg Räuchersaibling (die anderen Optionen wären Rinderfiletscheiben oder eine Karotten-Quinoa-Variation gewesen). Dazu gibt es, jetzt neu bei Lufthansa, jeweils ein in der Holzschachtel an Bord aufgebackenes Minibrot. Gute Idee, aber leider schmeckt das wie Kuchen aussehende Brot nach nichts. Als warmes Hauptgericht nehme ich weißen Spargel mit Kalbssteak und Kartoffeln. Der Spargel mit Sauce Hollandaise ist perfekt, das kleine Steak dagegen viel zu durchgebraten. Sonst wäre Orecchiette-Pasta oder Heilbutt zur Wahl gestanden. Zur Abrundung ein Salzkaramell-Törtchen, insgesamt alles solide, aber bei den Speisen gibt es wenig Innovation oder Überraschung.
Himmlischer Schlaf über den Wolken
Ich schlafe kurz, das ist mit der kuscheligen, aber nicht zu warmen Decke gut möglich. Seltsamerweise bekommen nur die Gäste der Business-Suiten auf allen Flügen eine Matratzenauflage, und Pyjamas bekommen die anderen nur auf Flügen ab zehneinhalb Stunden Dauer. Die zweite Mahlzeit ist mit Tortellini oder Entenbrustscheiben auch nicht besonders inspirierend, aber erfüllt ihren Zweck kurz vor der Landung nach neun Stunden und 28 Minuten.
Wenn es nur schneller schon auf mehr Lufthansa-Flügen Allegris gäbe, denn das wegweisende Kabinenprodukt leitet bei Lufthansa eine neue Zeitrechnung ein, zumindest für Premium-Passagiere. Die starke Produkt-Differenzierung innerhalb der Business Class ist gewöhnungsbedürftig, aber sinnvoll. Viel wird bei der Akzeptanz davon abhängen, wie schnell Kunden diese Neuerung verstehen und welche Aufpreise dafür ab Herbst verlangt werden.
Lufthansa Allegris Business Class/Facts
■ LOUNGE In der Lufthansa-Business-Class-Lounge gibt es noch nichts Neues. Bis Ende dieses Jahres will Lufthansa ein neues Lounge-Konzept entwickeln und dann innerhalb von 18 Monaten in Frankfurt und München umsetzen, insgesamt werden danach 50 eigene Lounges weltweit modernisiert. ■ SITZPLATZ Die Sitzplatzauswahl ist in der Allegris-Business-Class eine Wissenschaft für sich. Es gibt fünf verschiedene Sitztypen und noch zwei Unterkategorien, von abgeschlossenen Suiten bis zu Gangsitzen, die kaum Privatsphäre und weniger Fußraum als heute bieten. Ab Herbst werden je nach Komfortlevel unterschiedliche Aufpreise verlangt, um diese vorab zu reservieren. Über die Preise redet Lufthansa noch nicht. Es heißt, selbst die First-Class-ähnlichen Suiten mit Schiebetüren in den Frontreihen beider Business-Kabinen sollen unter 1.000 Euro Aufpreis kosten, obwohl es hier mehr Platz und extra Serviceleistungen gibt. Zumindest Top-Vielflieger wie HONs und Senatoren sollen einige Kategorien ohne Zuschlag buchen können. ■ WLAN Lufthansa geizt auch bei Allegris beim Internetzugang. Bei fast allen großen Airlines ist inzwischen die Nutzung von Messengerdiensten auf Langstrecken für alle Klassen gratis, Lufthansa bittet dafür auch Premiumkunden noch mit 9 Euro zur Kasse. Auch die anderswo übliche Freistunde Internetnutzung in der Business-Class sucht man vergeblich, schon zwei Stunden kosten 19 Euro, den ganzen Flug hindurch 29 Euro.
■ VERFÜGBARKEIT Bis Ende Juni flogen zwei fabrikneue A350 als einzige mit der neuen Kabine auf ausgewählten Flügen zwischen München und Vancouver bzw. Toronto. Bis zum Jahresende hofft Lufthansa, acht Flugzeuge in der Flotte zu haben, dann sollen unter anderem Montréal, Chicago, San Francisco und Shanghai ab München ebenfalls mit Allegris bedient werden, ab Herbst auch mit vier neuen First-Suiten, die noch fehlen. Bis 90 Prozent aller 117 dafür vorgesehenen Jets Allegris an Bord haben, wird es bis Ende 2028 dauern. www.lufthansa.com